Corona - concerto - combination

19 Jun 2020
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von Beate Gilgenreiner
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Beate Gilgenreiner über #concerto

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Episode meiner «Kulturgschichtln». Mein Name ist Beate Gilgenreiner. Ich liebe klassische Musik und bin glücklich, immer wieder Konzerte organisieren zu können, wie zum Beispiel die «Klassiktage Ammergauer Alpen».

In den letzten Tagen habe ich mir intensiv Gedanken gemacht, was ich über den aktuellen Konzertbetrieb denke, der im Moment langsam wieder aufgenommen werden kann.
Endlich sind die strengen Corona-Maßnahmen, vor allen Dingen hier in der Schweiz zu Ende. Es gibt hier keine Maskenpflicht, nur Empfehlungen dazu, in den Straßen herrscht wieder Leben.

Neue Zusammenarbeit ersetzt die «digitale Kafipause»

So dürfen auch wir wieder an einem Tisch zusammenarbeiten und das freut uns als Team sehr, denn es ist einfach produktiver, wenn wir uns in einem Raum zusammen aufhalten und uns dann direkt austauschen. Natürlich erzählen wir uns nebenbei auch viele private Dinge.
Während der Corona-Zeit, im Homeoffice, trafen wir uns jeweils zu einer digitalen Kaffeepause. Bei der letzten Kafipause waren wir ganz schnell … Wenn ihr Lust habt, schaut Euch die Zeitrafferaufnahme an.

 

Konzerte sind wieder möglich

Endlich sind auch wieder Konzerte in Innenräumen vor Publikum möglich.

Hier in der Schweiz gibt's natürlich auch Abstandsregeln, die einen sehr ungewohnten Konzertablauf ergeben. Aber immerhin kann man schon eine kleine Gruppe von Musikfans in einem Konzertraum versammeln.

In Bayern hingegen sind bisher leider nur 50 Personen in einem Innenraum erlaubt und auch dies nur mit großen Abständen zwischen den Zuhörenden.

Die Berichterstattung in den Medien über diese sogenannten «Lockerungen» ärgert mich. Es soll der Eindruck entstehen, dass der Konzertbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Die Überschriften in den Zeitungen verwirren. Sie lauten so oder ähnlich wie «Normalisierung im Kulturbetrieb», «Konzerte sind möglich» und «Rückkehr zum Konzertleben» usw.

Festivalprogramme in Zeiten von Corona

Aber jetzt mal ehrlich, macht es denn Spaß in einem Saal zu sitzen, Maske auf der Nase und aus gebührlichem Abstand dem Sitznachbar zuzuwinken? Es gibt keine Konzertpause, in der man sich so herrlich mit Freunden unterhalten kann oder etwas Feines trinkt.

Die Konzertprogramme sind kurz, damit alle nach 50 Minuten den Saal wieder verlassen. Der Geruch von Desinfektionsmittel ersetzt die wohlriechende Aura eines erwartungsvollen Publikums, da sich mit besonderen Kleidern und Düften geschmückt hat.

Ist das ein Konzert?

Also meine Vorstellung von einem gelungenen Konzert sieht anders aus.
Klar ist es sehr wichtig, den Virus einzudämmen, damit es nicht wieder zu so vielen schrecklichen Erkrankungen kommt. Aber ein Konzertabend sollte immer noch ein Prickeln auslösen und ein bisschen Anspannung, kombiniert mit Vorfreude. Vergleichbar den Kindheitserinnerungen kurz vor Weihnachten.

Was bedeutet "Konzert"?

Bevor ich jetzt aber hier meine Meinung zu dominant werden lasse, schauen wir doch einmal zurück, was man mit «Konzert» eigentlich meint. Das deutsche Wort «Konzert» übersetzt das italienische «concerto».

"concerto":

  • Mit "concerto" ist zum einen ein Kompositionsprinzip gemeint. Eine bestimmte Abfolge von Musikstücken, die eine feste Form ergeben, z.B. die Sätze in einem Streichquartett.
  • Zum anderen hat «concerto» auch eine Bedeutungsebene. Es stammt vom lateinischen Wort «Concertare», das eine wunderbare Doppeldeutlichkeit hat.
    «Concertare» kann «kämpfen, streiten, einen Wettbewerb austragen» bedeuten.
    Es kann aber auch gemeint sein, dass man mit jemandem zusammenarbeitet.
  • Zusätzlich meint «concerto»/Konzert auch den Ablauf eines Anlasses, bei dem die Musik im Mittelpunkt steht. (Dazu etwas später.)

So steckt in der Wortbedeutung «Concertare» schon das drin, was man in Konzerten mit Streichquartetten sehen und erleben kann.
Erinnert Ihr Euch an die Klassiktage Konzerte mit dem Minetti Quartett aus Wien?

Minetti Quartett

Was macht ein Streichquartett?

Auf der Bühne sitzen vier Musiker*innen, die zusammen auftreten, zusammen arbeiten und sich zusammen wieder verabschieden. «Concertare» = Zusammenwirken

Und dazwischen?

Dazwischen unterhalten sie sich, tauschen sich aus, streiten miteinander. Das kann dann zum Beispiel so beginnen: die 1. Geige schlägt ein Thema vor. Sie möchte etwas erzählen, von Themen, die ihr im Kopf herumschwirren, was sie bewegt. Das Cello findet dies immer langweiliger. Es beginnt dagegen zu maulen, es widerspricht. Die Geige wehrt sich, hält dagegen. Der Ton wird lauter, vielleicht wird auch das Tempo schneller. Nun müssen Bratsche und 2. Geige eingreifen. Sie bringen Gegenargumente, sie unterstützen die These der 1. Geige. Sie geben aber auch dem Violoncello Recht. In diesem intensiven Dialog gibt es auch immer wieder Passagen, an dem die vier Streicher zusammenfinden. Sie wirken wieder zusammen und erreichen damit einen Konsens.

Concerto als ideale Vorstellung einer Gesprächskultur

Also für mich ist die Zusammenarbeit von vier Streichern, die ideale Vorlage für eine gelungene Gesprächskultur. Ein «Concerto» als ein ideales Miteinander, wo jeder Einzelne, bei seiner Meinung bleiben kann und es dann trotzdem ein tolles Miteinander geben kann.
Die vier Gesprächspartner können sich natürlich noch weitere Gäste einladen, wie Sänger*innen, ein Klavier oder andere Soloinstrumente. Der Austausch kann so interessanter werden, aber ab einer gewissen Anzahl von Musiker*innen braucht es eine Moderation. Am besten übernimmt dies eine Dirigentin oder ein Dirigent.

Und so schnell sind wir bei einem Sinfoniekonzert.

Das "Konzert" als besondere Veranstaltungsform

So wie wir Konzerte heute kennen, beruhen sie auf bestimmten Verhaltensnormen und Abläufen. So betritt man den hell erleuchteten Konzertsaal, das Licht wird gedimmt, die Musiker*innen betreten die Bühne, verneigen sich und die Musik beginnt. Das Publikum widmet seine Aufmerksamkeit der Musik, man spricht nicht mehr, isst nicht und bleibt an seinem Platz sitzen. Nach der Aufführung bedankt sich das Publikum mit Applaus bei den Ausführenden. Die Lichter im Saal gehen wieder an; man geht in gehobener Stimmung und angeregtem Intellekt nach Hause.

Diese Abläufe waren nicht immer so, aber dies zu erzählen, würde nun zu weit wegführen vom Thema. Vielleicht besprechen wir es ein anderes Mal?

Neue Formen für Konzerte

Diese starren Abläufe von Konzerten sind gerade wieder im Umbruch. Im Besonderen durch die Corona-Zwangspause kamen neue Aufführungsmöglichkeiten hinzu. So streamten einige Konzerthäuser Konzerte und hofften so, ihr Publikum zu erreichen. Ebenso war es ein grosses Bedürfnis vieler Musiker*innen, Musik zu machen und dies digital mit ihren Freunden zu teilen. Zahlreiche Youtube-Clips sind davon zu sehen. Viele Künstlerinnen und Künstler gingen nach draussen und spielten vor einem meist kleinen Publikum beliebte Werke. Sehr zur Freude vieler Menschen, die vom Balkon oder aus sicherer Distanz zuhörten.

Ist das die Zukunft des Konzertbetriebes?

Unbestritten: Die Musik, die in Corona-Zeiten direkt zu den Musikliebhabern kam, erfreute, machte Spass, spendete Trost, war eine wunderbare neue Form des Zusammengehörens. Für mich ist es eine Veranstaltungsform, die mit dem «Konzert», das in einem Innenraum stattfindet, nur wenig konkurrenziert. Open-Air-Konzerte funktionieren anders.
Wenn Konzerte im Innenraum stattfinden, so kann man sich auf die Musik einlassen. Man findet Ruhe, um sich zu konzentrieren, um abzuschalten oder um loszulassen.

Die Kombination aus vielen Teilen

Ich möchte Konzerte nicht als Wellnessangebote anpreisen. Nein, es ist vielmehr die Kombination aus vielen Elementen, die zu einem gelungenen Konzerterlebnis führt. Wir brauchen einen besonderen Konzertort, eine passende Beleuchtung, ein feines Pausenbuffet, spannende Kompositionen, enthusiastische Musiker*innen und natürlich ein aufmerksames Publikum, das unsere Liebe zur Musik teilt!
Dann können wir Konzertabende feiern! Laut, lang, lustig und immer wieder.

Helfen und hoffen wir zusammen, dass es endlich wieder «richtige» Konzerte geben kann.

Alles Gute, bleibt gesund und auf bald!

Herzliche Grüsse

 

Beate Gilgenreiner

 

 

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Inspiration zu diesem Blogbeitrag kam von der

«Heidelberg Music Conference 2018»

https://www.heidelberger-fruehling.de/heidelberger-fruehling/programm/music-conference/

und von diesem Beitrag des Österreichischen Musiklexikons:

https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Konzert.xml (abgerufen am 14.6.2020)

 

Ausgelöst durch die Ausgangsbeschränkung in der Corona-Krise hat Beate Gilgenreiner sich ein Herz gefasst und zum Smartphone gegriffen. Schon lange plant - verwirft - überlegt - probiert - sinniert und editiert sie kurze Stories aus der Welt der klassischen Musikwelt. Da das Bayrisch nicht zu überhören ist, heissen ihre Beiträge "Gschichtln". Keine Sorge, man versteht sie auch ohne Untertitel. Einfach versuchen!

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